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Unter diesem Titel fanden Anfang September 2022 hundert Personen im Rahmen
einer internationalen Zen-Konferenz im Lassalle-Haus zusammen. Fünf
bedeutende Interpretinnen und Vertreter des Zen gaben in Referaten,
zahlreichen Workshops und Panels umfassende Anregungen: Abt Muho Nölke aus
Japan, Zen-Meisterin Doris Zölls, bekannt vom Benediktushof in Deutschland,
Vanja Palmers, Zen-Priester und Gründer des Zentrums Felsentor auf der Rigi,
Friederike Boissevain, Zen-Lehrerin, Onkologin und ärztliche Leiterin eines
Hospizes in Norddeutschland sowie Paul Morgan-Somers aus England,
spirituelle Persönlichkeit ausserhalb aller Traditionen. Die
Konferenzleitung lag bei Dieter Wartenweiler Roshi und Kathrin Stotz Sensei.
Ergänzt wurde die Tagung durch ein Kunstforum mit Kathrin Stotz und einen
Musikvortrag von Mario Strebel.
Worum geht es im Zen? – das war die zentrale Frage in dieser Konferenz, und
die Antworten waren von grosser Vielfalt und gleichzeitig von einer tiefen
gemeinsamen Empfindung, die das unbeschreibliche „Wesen“ des Zen anklingen
liess. Worte können es nicht fassen, und die Gespräche darüber vermochten
daher nicht mehr als Andeutungen zu vermitteln, so wie ein Finger, der auf
den Mond zeigt. Und doch ist er zugleich dieses Wesen selbst, gerade wie
„Guteis Finger“.
„Zeitlose Weisheit“ ist keine Geschichte, stellte Abt Muho
in seinem Referat fest. Sie weist über alle Erfahrungen hinaus in jenen
unbeschreiblichen Bereich, der ungetrennt von allen Erscheinungen alles ist.
Im Zen wird er als Wesens- oder Buddhanatur allen Seins bezeichnet. Und wenn
sich Abt Muho fragte, ob Zen am sterben sei – in Japan oder auch insgesamt –
so meinte er, dass alles doch stets schon stürbe, auch während wir
saubermachen und arbeiten, wie er es in seinen 18 Jahren als Abt des
japanischen Soto-Klosters Antaiji täglich erlebte. Und ebenso sterben auch
die Konzepte, die wir von allem Möglichen haben. Satori sei hier und klopfe,
doch meine man, dafür noch etwas tun zu müssen.
Friederike Boissevains Sicht auf Zen ist von ihrer
ärztlichen Tätigkeit mit Sterbenden geprägt, und zugleich prägt Zen ihre
Arbeit. Dabei geht es ihr ums Zusammenfügen: das Dunkle und das Helle, das
Glatte und das Schrumpelige, das Gesunde und das Kranke, das Extreme und das
„Normale“, die Aussen- und die Innenwelt. An ihre Tür klopft die
„Schicksalssymphonie“. Dazu sage der Zen-Geist: „her damit“, doch dann müsse
man sich auch darum kümmern. In der Welt der Polarisierung sei das
Lebensende das Egalisierende, und das Leben vom Ende her denkend werde das
einzelne Element kostbar. Das Ende bringe ja ohnehin den Verlust der Rollen
und aller Geschichten, so wie es im Zazen bereits zeitweilig geschehe. Sich
hinsetzen, erwachen und handeln – ganz eins.
„Das grosse Geheimnis ist unergründlich – ich gelobe es zu verwirklichen“ –
ist Vanja Palmers Übersetzung des vierten buddhistischen
Versprechens, und gleichzeitig plädiert er für die Begrenzung auf das
Machbare: nicht zu viel, nicht zu wenig. Die Tiere sind ihm dabei
Dharma-Tore, die uns immer offen stehen, denn ihre Nähe zum Menschen sei
grösser, als wir allgemein annehmen: „Schweine sind praktisch horizontale
Menschen und wir vertikale Schweine“. Sie vermögen uns in die Gegenwart zu
bringen, weil sie selber stets dort sind. Und ebenso die Pflanzen, was immer
sie in uns bewirken, wenn wir sie zu uns nehmen. Pilze, Früchte, Gemüse…
Doch all dies sei kein Ersatz für Meditation.
Die Wirklichkeit ist nach Doris Zölls nicht das, was wir
denken, denn diese ist paradox. Die Reflexion darüber könne gar so stark
werden, dass sie das Erleben völlig überdecke. Fehlt aber die
Unmittelbarkeit des Erlebens, dann entstehe das Gefühl, nicht wirklich zu
leben. Demgegenüber versuchten Koan, uns in die Lebendigkeit zu führen. Im
„Nicht“, das dort wie im Herz-Sutra immer wieder Erwähnung findet, komme
dabei nicht eine Verneinung zum Ausdruck, sondern vielmehr das Übersteigen
der Dualität: Form und Nicht-Form als Eins. Darin gibt es auch keine Wahl,
wie Sosan es sagt: „Der höchste Weg ist nicht schwer, wenn Du nur nicht
wählst“. „Nichts“ jenseits jeder Dualität. „Was aber bedeutet dies für mein
normales Leben“, fragt sie sich.
Paul Morgan-Somers tiefe spirituelle Erfahrung, die ihn
schon in jungen Jahren erreichte, zeigt viele Parallelen zu Zen, das die
Leere in allen Erscheinungen und die Einheit jenseits aller Dualität sieht.
„Alles singt das Lied seiner eigenen Abwesenheit“ – so drückte er es aus.
Worte und Stille – nicht zwei, Sprecher und Zuhörende – nicht zwei. Wer die
Unendlichkeit aufteilt, werde zum gebärenden, zum bewegenden und zum
sterbenden Wesen. Da „Wissen“ nur im Vergleich von zwei vorgängig getrennten
Dingen erscheinen kann, gebe es kein absolutes Verstehen. Wie soll die Welle
verstehen, dass sie der Ozean ist? Dass sie nur eine Erscheinung ist – ohne
eigene Substanz? Für das Wissen und den Wissenden sei es nicht möglich, die
eigene Abwesenheit zu sehen.
Alles in allem zeigte diese Zen-Konferenz, wie sich der Versuch des
Verstehens an seiner eigenen Unmöglichkeit reibt, an der Unfassbarkeit eines
proklamierten „Geistes“, an der Paradoxie dessen, was uns als „Wirklichkeit“
erscheint. Zen wird nie fassbar sein, und wäre dies möglich, wäre es kein
Zen. Wer im lebendigen Austausch der Sangha die „eine Antwort“ suchte,
konnte sie nicht finden, aber viele meinten zum Schluss, dass das Gesagte
sie beschäftige. Gerade auch darin zeigt sich der Mond.
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