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Der später berühmte Meister Dogen hatte seine Zen-Ausbildung in China
bekommen. Als er mit der Bestätigung nach Japan zurückkam, schilderte er
seine Haltung wie folgt: "Ich bin mit leeren Händen wiedergekommen. Alles,
was ich euch sagen kann, ist dieses: Die Augen sind waagrecht und die Nase
ist senkrecht. Morgen für Morgen geht im Osten die Sonne auf, und der Hahn
schreit in der Dämmerung."
Was gesagt wird ist, dass die Dinge sind wie sie sind. Es sind
Erscheinungen, die keiner Interpretation bedürfen um das zu sein, was sie
sind. Sie sind in voller Weise ganz sich selbst. Demnach brachte Dogen auch
keine Lehre mit, kein kompliziertes Gerüst von Konzepten, an das man sich
halten sollte. An anderer Stelle sagte er: "Den Buddha-Weg ergründen heisst,
sich selbst ergründen. Sich selbst ergründen heisst, sich selbst vergessen.
Sich selbst vergessen heisst, eins mit den zehntausend Dingen sein." Es geht
um die Einheit aller Erscheinungen, der/die Betrachtende eingeschlossen. Da
ist kein "Ich", das von der übrigen Welt getrennt ist. Was zu passieren
scheint, ist nicht "da draussen", getrennt vom Betrachtenden. Es ist niemand
da, der sich davon trennen könnte. Da sind waagrechte Augen und eine
senkrechte Nase, und das ist alles, voll und ganz. Was aber alles ist, kann
nicht erkannt werden - nur Einzelteile können beschrieben werden. Was
waagrechte Augen und eine senkrechte Nase "wirklich" sind, weiss niemand. Es
geht um mehr als um die Rückkehr zu einer Naturhaftigkeit. Es geht um das,
was alles ist: um "genau das". Es ist und braucht nicht noch etwas dazu. Es
braucht kein zusätzliches Erleben, keine zusätzliche Realisation um zu sein,
was es ist.
Das Mysterium findet ohne uns statt. Was alles ist, ist das grosse
Mysterium, und damit sind es auch einzeln betrachtete Teile. Auch von denen
wissen wir nicht, was sie sind. Sie können zwar voneinander unterschieden
und wiederum zueinander in Beziehung gesetzt werden, aber Vergleiche sagen nichts
Wirkliches über sie aus. Auch wir selbst können zwar mit anderen Personen
oder Erscheinungen verglichen werden, aber das definiert keinen
grundsätzlichen Gehalt. Die Trennung in "Ich" und "andere" ist künstlich und
macht nicht klarer was "Ich" ist. Indem es diese Trennung nicht wirklich
gibt, verliert auch das vermeintliche "Ich" seine vermutete Existenz. Da ist
einfach Mysterium. Und es zeigt sich in den waagrechten Augen und der
senkrechten Nase.
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